Geschichte des Zementwerks Geseke
Kalk- und Zementwerke „Merkur“ GmbH
Am 31. Mai 1919 gründeten die Gebrüder Anton und Wilhelm Rotermund aus Geseke, der Fabrikant Karl Balland aus Hüsten und Herr Schröder aus Hamm die Kalk- und Zementwerke „Merkur“ GmbH mit einem Kapital von 150.000 RM und begannen mit dem Ausbau des Werks. 1920 konnte es in Betrieb genommen werden. Bereits nach der Gründung entbrannte jedoch ein erbitterter Kampf zwischen dem Werk und dem Zementkartell, dem Rheinisch-Westfälischen Zementverband, da die Gründer kein Mitglied im Verband werden wollten. Durch einen Strohmann gelangte dem Zementverband, in der Geschäftsführung des Werks Merkur Fuß zu fassen und durch seine Mitwirkung den Zementabsatz zu drosseln. Außerdem kaufte der Verband Forderungen und Grundschuldbriefe des jungen Betriebs auf, um bei dem finanziell noch abhängigen Werk Zwangsversteigerung und Liquidationsprobleme zu erwirken. Das Werk Merkur geriet in eine finanzielle Notlage und versuchte ein Darlehen zu bekommen. Wegen der Wirtschaftskrise wurde ihr Antrag jedoch abgelehnt. Das Schicksal des Werks Merkur schien besiegelt zu sein. Es wurde 1932 – wie viele andere Zementwerke in Geseke – vom Zementverband einverleibt und stillgelegt.
Die ersten Jahre der 1930er-Jahre bedeuteten einen Tiefpunkt in der Geseker Zementindustrie. Da die meisten Werke still lagen, lebte mehr als 40% der Einwohner von Sozialhilfe. Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten begann jedoch eine Zeit von Umstrukturierungen, die die Lage der Zementindustrie und damit auch die des Werks Merkur grundsätzlich veränderten.
Mit einer Reihe von Maßnahmen wurden die Weichen für die Zwangskartellierung in der Zementindustrie gestellt, welche noch im Jahr 1933 erfolgte. Der Westdeutsche Zementverband wurde aufgelöst. Da im Rahmen der Kriegsvorbereitungspolitik die Zementnachfrage rasant anstieg, konnten mit der Rückgliederung betrieblich wichtiger Anlagen einige durch den Zementverband aufgekauften und stillgelegten Werke reprivatisiert und wieder in Betrieb genommen werden. Mit der Umstrukturierung stand auch das stillgelegte Werk Merkur zum Verkauf.
Portlandzementfabrik Hermann Milke
Johann Hermann Milke (*4.10.1883, St. Vit †6.7.1962, Soest), Vorstandsvorsitzender der Strabag erwarb das Werk 1936. Der frühere Werksbesitzer, Anton Rotermund, war beim Kaufprozess nicht beteiligt. Vermutlich war er gesundheitlich schwer angeschlagen, da er noch im selben Jahr am 6. November verstarb.
Nachdem Hermann Milke aus der Strabag ausgeschieden war, gründete er am 27. Oktober 1936 die Portlandzementfabrik Hermann Milke, Kommandit-Gesellschaft. Seine Mitgliedschaft in der NSDAP und in der DAF sowie seine politische Kontakte verhalfen ihm einerseits, hohe Positionen in der Zementindustrie zu besetzen und wichtige Aufträge zu erhalten, andererseits auch seinen Betrieb und seine Mitarbeiter vor der politischen Macht so weit wie möglich zu schützen. Es wurde von etwa 60 Mitarbeitern nach dem Krieg namentlich bezeugt, dass die Firma Milke sich grundsätzlich nicht um die Auffassungen der Betriebsangehörigen zu politischen, rassischen oder religiösen Fragen kümmerte.
Die Zwangskartellierung und -kontingentierung sowie die größeren staatlichen Baumaßnahmen in den ersten Kriegsjahren bedeutete für das Werk Milke einerseits eine gewisse Absatzsicherheit. Andererseits wurden viele Mitarbeiter zum Kriegsdienst eingezogen, so dass das Fehlen von Fachkräften am Ende des Kriegs die Produktion auch im Werk Milke fast völlig zum Erliegen brachte. Zwar arbeiteten in vielen Betrieben Kriegsgefangene und Fremdarbeiter, sie konnten aber weder physisch noch im Fachwissen die eingezogenen Mitarbeiter ersetzen.
Am 1. April 1945 besetzten amerikanische Kampftruppen die Stadt. Danach kamen sämtliche Zementwerke durch Sperrung des Kraftstroms schlagartig für einige Monate zum Erliegen. Zu diesem Zeitpunkt war die Lage der Zementwerke ohnehin katastrophal. Während sie 1939 noch 440.000 t Zement pro Jahr herstellten, schrumpfte die Produktion im Jahr 1945 auf 55.000 t.
Pionier des industriellen Bauens
Nach dem Krieg wurden im Werk Milke – aufgrund der Kriegsschäden und des Trends zum industriellen Bauen – neue Systembaustoffe wie zementgebundene Holzwolleleichtbauplatten und stockwerkshohe Wandplatten für Fertighäuser hergestellt. Daneben wurde auch in großem Umfang die Fertigung von Betondachsteinen betrieben, um die bei der Bombardierung zerschlagenen Dächer wieder herzustellen. Mit diesen Produkten konnte die Firma schnell wieder Gewinne erzielen, so dass die Firma in kurzer Zeit schuldenfrei geworden war.
Das „Wirtschaftswunder“ brachte eine stetig wachsende Nachfrage nach Baustoffen mit sich, die auch bei Milke einen ständig steigenden Umsatz bedeutete. Der Versand verdreifachte sich zwischen 1949 und 1953. Von diesem Gewinn konnte die Firma 1953 und 1961 zwei neue Drehöfen bauen lassen. Hermann Milke konnte jedoch die Einweihung des zweiten Drehofens nicht mehr erleben. Er starb am 6. Juli 1962 im Alter von 78 Jahren. Zwei von seinen Söhnen, Dr. Wilhelm Milke und Heinz Milke, führten bis zum Tod von Wilhelm 1966 die Firma weiter. Danach wurde Heinz der Geschäftsführer.
Die Jahre mit den guten Umsätzen dauerten bis 1965. Die darauffolgenden zwanzig Jahre wurden von zwei erbitterten Preiskämpfen und einer lang anhaltende Nachfragekrise geprägt, die für die meisten Zementhersteller in Westfalen das Aus bedeuteten. Das Werk Milke konnte jedoch durch kluge Entscheidungen der Geschäftsführung und die Opferbereitschaft der Gesellschafter alle Kämpfe und Krisen überleben.
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs erwarb das Unternehmen an Steinwerken im ehemaligen Ostdeutschland und in Tschechien. Dank der guten Baukonjunktur waren die Jahre 1991 bis 1995 die erfolgreichsten in der Geschichte der Firma Milke. Der Geschäftsführer Heinz Milke konnte diesen Erfolg jedoch nicht mehr erleben. Er starb unerwartet am 3. März 1991. Neue Geschäftsführer wurden zuerst Ansgar Bahners und Werner Spetsmann, drei Jahre später der Sohn des Verstorbenen, Bernd Milke.
Milke als Konzernwerk
Mit dem Jahr 1995 endeten die „besten Jahre“, ein „dramatischer Nachfragrückgang in allen Bausparten“ wurde vorhergesagt. Bei diesen Aussichten kam ein unwiderstehliches Angebot von der Anneliese AG rechtzeitig. Sie wollte die Kommanditanteile der Gesellschafter der Milke KG erwerben. Mit einer Fusion konnte die Anneliese AG auf eine kostenaufwendige Kapazitätserweiterung in ihrem Werk Paderborn verzichten und stattdessen die verfügbaren Kapazitätsreserven des großen Ofens im Werk Milke ausnutzen.
In der Familie Milke gab es einzelne Vorbehalte gegen die Verkaufsentscheidung. Gleichwohl war es der Familie bewusst, dass es vergleichbar günstige Rahmenbedingungen für einen Anteilsverkauf zu einem späteren Zeitpunkt kaum noch einmal geben würde.
Im Februar 1997 fiel dann die Entscheidung rückwirkend zum 1. Januar: Alle Gesellschafter, darunter auch die Unternehmen Dyckerhoff und Heidelberger Zement, übertrugen ihre Anteile vollständig an die Anneliese AG, bzw. tauschten sie gegen stimmrechtslose Vorzugsaktien um. Damit hielten die beiden Konzerne jeweils mehr als 25% des Aktienkapitals der Anneliese AG.
Das Werk Milke nahm – trotz der neuen Nachfragekrise – eine besondere Stellung innerhalb der Anneliese AG ein. Eine eventuelle Stilllegung und Abriss – wie z.B. beim 1994 gekauften Werk Gröne in Geseke – kam nie in Frage.
Das Jahr 2002 brachte eine grundsätzliche Änderung: Das Bundeskartellamt startete im Juli ein umfangreiches Verfahren gegen alle führenden deutschen Zementhersteller wegen Verstößen gegen das Kartellrecht. Als Folge der Entflechtungsforderungen des Kartellamts verkaufte am 31. März 2003 die Dyckerhoff AG ihre 48,8%ige Anteile an der Anneliese AG an die HeidelbergCement. Mit dem Erwerb von weiterem Aktienkapital und durch ein Squeeze-out-Verfahren im September 2004 wurde die Anneliese AG und damit das Werk Milke, Teil der HeidelbergCement AG. Der Name „Milke“ wurde beibehalten und die im Werk hergestellten Spezialzemente weiterhin unter der Bezeichnung „Milke-Zemente“ vermarktet.
Das Werk „Milke“ ist derzeit das einzige Werk der HeidelbergCement AG in Deutschland, das keine Sekundärbrennstoffe einsetzt. In dem Werk arbeiten 84 Mitarbeiter und jährlich werden vier Jugendlichen ausgebildet. Die durchschnittliche jährliche Produktion beträgt zurzeit ca. 750.000 t Klinker. In den letzten Jahren lieferte das Werk seine Produkte in Deutschland u.a. für die Hafenstadt in Hamburg, es exportierte aber auch Zemente nach Argentinien, Spanien oder Russland.
- Der Heidelberger Portländer Beiträge zur Unternehmensgeschichte und Unternehmenskultur, H. 12
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Die Geschichte des Zementwerks Geseke.
Von Merkur und Milke zu HeidelbergCement
[hrsg. von: HeidelbergCement AG]
Dr. Eszter Harsányi, Dietmar Cramer – Heidelberg
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Titelfoto: Platzierung einer neuen Zementmühle, ca. 1960.
Entwurf und Realisation: ServiceDesign Werbeagentur GmbH, Heidelberg