Johann Philipp Schifferdecker und seine Familie
Ein neuer Zement wird erfunden
Die Erfindung des Portlandzements 1824 in England brachte ein neues Bindemittel auf den Markt, das sich in seinen Verarbeitungseigenschaften wesentlich von den bis dahin gängigen Romanzementen und hydraulischen Kalken unterschied. Ab den 1840er Jahren war Portlandzement bei hohen Preisen in kleineren Mengen verfügbar. Dies animierte zahlreiche Investoren auch auf dem Festland, den englischen Zement nach zu erfinden. In den 1860er Jahren entstanden die ersten größeren Fabriken, die oftmals durch fachfremde Personen errichtet und betrieben wurden.
Ein Bierbrauer wird Zementfabrikant
Einer dieser Unternehmer war der Bierbrauer Johann Philipp Schifferdecker. Er entstammte einer Mosbacher Großfamilie mit 24 Kindern. Er erlernte wie seine Vorfahren das Biersiederhandwerk. Kaum volljährig starb seine Mutter entkräftet im September 1835. Als sich ihm 1838 durch einen Onkel mütterlicherseits die Aussicht auf eine eigene Brauerei in Königsberg eröffnete, nutzte er diese. Schon 1849 konnte er einen Großbetrieb in Ponarth errichten. Seine drei Kinder hatten aber kein Interesse an der Brauerei, so dass er die Betriebsleitung seinem jüngsten Bruder überließ. Im Alter von 56 Jahren fasste er den Entschluss, Anteile an der Brauerei zu verkaufen und seinem Sohn, der in Heidelberg in Chemie promovierte, eine Existenz aufzubauen.
Gründung des Portland-Cementwerks Heidelberg und der Aktiengesellschaft
Wie Johann Philipp auf den Portlandzement aufmerksam wurde, ist nicht bekannt, es gibt aber eine Legend dazu. Der Standort Heidelberg brachte die nötigen Voraussetzungen im Hinblick auf die verfügbaren Rohstoffe mit. Es fehlte noch ein Bauplatz für die Fabrikgebäude. Die Bergheimer Mühle in Heidelberg wurde zu dieser Zeit von Johann Martin Conrad Reiffel betrieben. Mehre Versuche die Insolvenz abzuwenden scheiterten, so dass die Mühle mit Nebengebäuden und ausgedehnten Ländereien am 2. Januar 1873 von Schifferdecker ersteigert werden konnte. Nach eineinhalb Jahren nahm das Werk den Betrieb auf, drohte aber bald darauf, mangels Sachkenntnis zu scheitern. Dem jungen Zementchemiker Friedrich Schott gelang es schließlich, die Probleme zu beseitigen und das Unternehmen zum Erfolg zu führen.
Brandkatastrophe und Abwanderung nach Leimen
Johann Philipp kehrt unterdessen nach Königsberg zurück und widmet sich u.a. der Freimaurerei. Nach seinem Tod 1887 wandeln seine Nachkommen das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft um, die seither an der Frankfurter Börse notiert ist. Nach zwei Jahrzehnten stetigen Wachstums wurde die Fabrik durch einen Großbrand 1895 stark beschädigt. Der Wiederaufbau erfolgte in Leimen bei den Steinbrüchen. Dort entstand nach Schotts Plänen die größte Zementfabrik des Deutschen Kaiserreiches. Noch findet sich der Zusatz „vormals Schifferdecker & Söhne“ in der Unternehmensfirmierung, er verschwindet aber schon bald nach der ersten Fusion mit der Mannheimer Portland-Cementfabrik 1901.
Die Nachfahren der Familie Schifferdecker
Der Sohn von Johann Philipp, Johann Paul, war zeitweise Betriebsleiter, starb aber kurz nach seinem Vater. Seine jüngste Schwester Friederike Helene Antonie, war mit Rudolf Heubach verheiratet, der ebenfalls als Gründer fungierte. Friederike begehrte in der Familie auf und heiratete noch zwei Mal sehr gegensätzliche Persönlichkeiten. Ihre Schwester Maria Olga Luise war mit dem Kaufmann Gustav Schmidt verheiratet, der wie Heubach im Aufsichtsrat saß. Auch Heubach starb früh im Jahr 1895, so dass nach dem Großbrand auch die Gründergeneration ausgeschieden war. Die Familie Heubach wanderte über Bonn nach England aus. Unter den Nachkommen finden sich bekannte Landschaftsmaler.
- Der Heidelberger Portländer Beiträge zur Unternehmensgeschichte und Unternehmenskultur, Heft 14
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Johann Philipp Schifferdecker und seine Familie
Bierbrauer und Zementpionier[hrsg. von: HeidelbergCement AG]
Dietmar Cramer - HeidelbergCopyright © 2022 HeidelbergCement AG
Berliner Straße 6, 69120 HeidelbergTitelfoto: Johann Philipp Schifferdecker, 1875.
Entwurf und Realisation: Unternehmensarchiv HeidelbergCement